Mit der Erzählung von dem syrisch-katholischen Kloster Mar Elian am Rande der Kleinstadt Qaryateinin Syrien begann der Preisträger seine bewegende Rede. Die Christen dort pflegten nicht nur gute Beziehungen zu den Muslimen, sondern sagten von sich, dass sie in den Islam verliebt seien. In einer beispiellosen Koexistenz lebten dort Religionen zusammen. Anfang August nahm der IS das Kloster ein und entführte die Mitglieder des Ordens. Ein Teil davon ist in diesen Tagen wieder frei gekommen, das Kloster ist aber zerstört.
Der in Siegen geborene und inzwischen 47-jährige Navid Kermani ist selbst Muslim und schwärmte vor den rund 1000 Zuhörern in der Frankfurter Pauskirche von der islamischen Hochkultur und der Tiefe seiner Theologie. Leider sei der moderne Islam davon weit entfernt. Doch hat Kermani interessante Erklärungen für die Entwicklungen bis heute zum Phänomen des Islamischen Staates.
Zum einen malte er ein differenziertes Bild vom Islam, zum anderen rief er die internattionale Gemeinschaft zum Widerstand gegen die Gewalt des IS auf - militärisch und gesellschaftlich. Eine Armee von 30.000 Kämpfern kann nicht für unbesiegbar erklärt werden. Der IS wird den Horror solange steigern, bis wir merken, dass der Horror nicht von selbst aufhören wird. "Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?" stellte Kermani sich selbst die Frage.
"Gibt es Hoffnung? - Ja, es gibt immer Hoffnung." Als Beispiel erzählte er, wie nach der Entführung der Ordensleute die Muslime aus der Umgegend in das Kloster strömten und für den entführten Pater beteten. "Es gibt bis zum letzten Atemzug Hofffnung". Zum Ende seiner Rede rief der Friedenspreisträger die Zuhörer auf, statt zu applaudieren, für die noch verschwundenen Christen von Qaryateinin zu beten.
Navid Kermani hat zuletzt ein Buch über das Christentum geschrieben: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, 4., durchgesehene Auflage 2015. 303 S.: mit 49 farbigen Abbildungen. Gebunden. ISBN 978-3-406-68337-4
Georg Rieger