Israel und Kirche oder: die ganze Geschichte der Menschen
22.07.2019
Das war neu: Vor hundert Jahren hat Karl Barth pionierhaft beschrieben, warum Israel und Kirche zusammengehören: Beide haben dieselbe Offenbarung, dieselbe Hoffnung, dasselbe Gericht. Israel zeigt die unerfüllte und offene Situation des Menschen vor Gott. Die Kirche zeigt den erfüllten und versöhnten Menschen. Dadurch verdeutlicht Barth, dass der Mensch vor Gott im Übergang ist: von ‹alt› zu ‹neu›. (Barth will aber nicht etwa sagen, dass die Kirche näher bei Gott sei als Israel!)
Diese Israel-Theologie provoziert und weitet gleichzeitig den Horizont. Sie fordert nämlich von Theologie und Kirche, die reale und offene Geschichte der Menschen immer wieder neu ernst zu nehmen und sie vor Gott zu stellen. So muss z. B. gefragt werden: Was können wir uns heute von Gott erhoffen? Was dürfen wir tun, von dem, was wir können? Worauf läuft unsere Geschichte hinaus?
Israel provoziert auch heute. Gleichzeitig macht Barth immer noch Mut, die Steilpässe fröh-lich anzunehmen und den Ball vehement in Richtung Ziel zu schiessen. Sollte er dabei aber übers Ziel hinaus oder an ihm vorbei gehen: Auch das gehört zur Geschichte der Menschen.
Andreas Zingg