Kriegserklärung
Barth über das Gewöhnliche als Sünde
»Das Gewöhnliche hat den Krieg verursacht: keine Schurken, keine Mörder, keine Verbrecher und Untäter. Lauter tüchtige, arbeitsame, christliche Völker sind es, die sich jetzt bis aufs Messer bekämpfen, (...) und sie tun es alle im vollen Bewusstsein ihrer Gerechtigkeit. Und sehr feine, gebildete, wohlmeinende Herren sind auch die Regierenden alle, die vor einem Jahr einander den Krieg erklärt haben, mindestens so fein und wohlmeinend als du und ich, wenn wir Fürsten und Minister wären; und auch sie sagen: unsere Sache ist gerecht, und glauben in allem Ernst daran, und sie ist auch wirklich gerecht, so gerecht, als eben das Gewöhnliche in den Menschen: die Selbstsucht und der Hochmut und die Rücksichtslosigkeit nur immer sein können, nur dass leider diesmal aus lauter Gerechtigkeit der entsetzlichste Krieg entstand. Der Krieg ist nichts Außerordentliches, 99 % der Menschen haben einfach nicht das Recht dazu, den Krieg einen Wahnsinn und ein Verbrechen zu heißen. Der Krieg ist nur die Folge des Gewöhnlichen, die Folge der Gerechtigkeit der 99. Sieh, sagt uns der Krieg: so wirkt das Gewöhnliche! Und nun hast du also etwas gemerkt, ob durch den Krieg oder sonst: hast gemerkt: das Gewöhnliche ist die Sünde« (Karl Barth, Predigt zu Lk 15,3-7, in: Predigten 1915 (GA I.27), 393f)