Stings like a bee

Predigt im Jazzgottesdienst auf dem Kirchentag am 21. Juni 2019

Von Pfarrerin Kathrin Oxen, Berlin

Einer von den Pflöcken des Zeltes. Hering würde ich sagen.
Wenn der erstmal drin ist in der Erde, bekommt man ihn schwer wieder raus.
Sie kennt sich aus damit. Jael ist die Frau aus den Zelten, die Nomadin, eine alte Pfadfinderin.
Von der einen Seite drücken, dann von der anderen, bis er sich lockert,
wie ein Milchzahn. Dann hat sie ihn.
Aber die straff gespannte Zeltbahn hängt jetzt durch.
Beinahe streift sie Siseras Gesicht. Als wolle sie ihn noch einmal streicheln.
Sie hat ihn zugedeckt.
Sie hat ihm Milch zu trinken gegeben.
Jetzt schläft er wie ein Säugling.
Siesta Sisera.
Sie muss mit der Spitze des Pflocks vorsichtig diese eine Stelle an der Schläfe suchen, wo eine Ader pocht, wo das Leben ist.
Das Holz drückt eine kleine Delle in die Haut, als sie ansetzt.
In der linken Hand den Pflock, in der rechten Hand den Hammer. Sie wendet den Kopf lieber leicht nach links (wird es spritzen?)
Aber hinsehen muss sie. Sonst trifft sie nicht.
Und holt aus, nicht weit. Und schlägt.
Und der Pflock dringt durch Haut und dünnen Knochen,
durch Hirn und noch einmal Knochen und Haut (das Geräusch)
und wieder in die Erde, bis er den Hammer dumpf zurückfedern lässt.
Drin.
Noch einmal schlägt Sisera die Augen auf, groß und irrend wie im Traum,
sein Blick nichts mehr haltend, wie bei den Neugeborenen.
Und Jael neben ihm sieht, wie er kommt, der Tod. Wie Sisera sich noch einmal streckt, als wollte er doch noch aufwachen. Wie er erschlafft.

*

Artemisia Gentileschi hat sie gemalt. Jael mit dem Hammer in der rechten und dem Pflock in der Linken. Sisera in ihrem Schoß. Sie hat beide gemalt zu einer Zeit, in der man Frauen nicht einmal zutraute, dass sie einen Pinsel halten, geschweige denn ihn führen könnten.
Artemisia wurde als sehr junges Mädchen von ihrem Lehrer vergewaltigt. Wenn sie nicht darüber spräche, würde er sie heiraten. Das tat er aber nicht, sondern brachte sie stattdessen vor Gericht. Artemisia wurde in dem Prozess gefoltert und zutiefst entehrt. Niemand glaubte ihr. Sie musste die Stadt verlassen.
Und malte fortan fast nur noch Frauen. Malte sie als Objekte männlicher Lust und Gewalt: die gierig betatschte Susanna im Bade. Die nackte, schöne Batseba. Sie malte die gefolterte Katharina von Alexandria, einfach zu klug für all die Männer. Sie malte sich selbst als Märtyrerin. Und Artemisia malte weibliche Gewalt. Immer wieder Judith mit dem Kopf des Holofernes.
Und Jael mit dem Hammer und dem Pflock. So gleichmütig sieht sie aus auf Artemisias Bild. Als läge da nicht ein Mensch, ein Mann in ihrem Schoß, sondern als täte sie bloß ihre tägliche Arbeit beim Aufbau des Zeltes. Die Frau aus den Zelten, die Nomadin, sie kennt sich eben aus mit Hammer und Pflöcken.
Ich stelle mir Artemisia vor, wie sie das malt und sich selbst Pflock und Hammer in die Hände wünscht statt Pinsel und Palette. Wessen Gesichtszüge trägt ihr Sisera eigentlich?
Ein Gemälde voller Gewalt. Ein Gemälde als Therapie. Gewalt als Therapie, als eine Selbstermächtigung der Opfer. Endlich Subjekt sein statt Objekt.

*

Ginge es um diese Art von Gewalt in Deboras Lied, um die Selbstermächtigung der Opfer, um Rache für angetane Gewalt, um Genugtuung – ich könnte das nicht gutheißen, natürlich nicht. Nachvollziehen vielleicht.
Aber dieses Lied ist von vorne bis hinten voller Bosheit und Gewalt. Deboras Name bedeutet Biene
and she floats like a butterfly and stings like a bee.
Debora, die Richterin muss Barak, den Feldherrn, in die Schlacht begleiten wie ein Kind in den Kindergarten.„Wenn du mit mir gehst, werde ich gehen; gehst du aber nicht mit mir, werde ich nicht gehen“, quengelt Barak, so als sei er zum Muttersöhnchen der Mutter in Israel geworden. Mit Debora an der Seite zieht er in die Schlacht. Das feindliche Heer besiegt er nicht, das tun, wie auch immer, die Sterne und der Bach.
Sisera flieht zu Fuß, kommt zu Jael, nimmt das erwähnte Ende und als Barak endlich bei Jaels Zelt ankommt, ist Sisera schon tot und Jael wahrscheinlich gerade bienenfleißig damit beschäftigt, den benutzten Zeltpflock durch einen neuen zu ersetzen. Summend vermutlich.
Ach ja, und wir erfahren auch noch, wie Siseras Mutter vergeblich darauf warten wird, dass ihr Sohn von der Arbeit zurückkommt. Sie könnte einem ja leidtun, fantasierte sie nicht von der reichen Beute dieses Krieges, von bunten Tüchern und Frauen, die nur noch Leiber sind, bestimmt zur Vergewaltigung durch die Soldaten.
Bosheit und Gewalt, vor allem von Frauen. Mal nicht Opfer, sondern Täterinnen.

*
In den Tagen von Jael
waren die Wege verödet,
und die auf Pfaden gingen,
mussten gewundene Wege gehen. (Richter 5, 7)
Um es mal euphemistisch auszudrücken.
Deboras Weiberlist, she floats like a butterfly and stings like a bee.
Und am Ende nach der ganzen Morderei war vierzig Jahre lang Ruhe im Land.

Der predigenden Frau von heute hilft natürlich ihr erworbenes exegetisches Wissen, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum hier eigentlich im Buch der Richter so bedenkenlos mit Hammer und Pflock hantiert wird. Wo doch schon lange vor dem Einzug in das Gelobte Land die Zehn Gebote ausgereicht worden sind. Sogar mehrfach im 2. und extra nochmal abgedruckt im 5. Buch Mose. Dass es auch die allerletzten am Ende des Einzugs in das Gelobte Land einher schlurfenden Fußlahmen noch mitbekommen:
Du. Sollst. Nicht. Töten.
Das Deboralied gehört zu den ältesten Texten des Alten Testaments und die Zehn Gebote gehören leider Gottes zu den jüngsten Texten des Alten Testaments.
Und lies die Bibel bei Gott besser nicht in der Reihenfolge, in der die Bücher jetzt abgedruckt sind. Sonst kommst du nur durcheinander.
Oder lies sie einfach doch in der Reihenfolge, in der die Bücher jetzt abgedruckt sind. Und du wirst richtig lesen.
Denn die Wege veröden immer ja wieder aufs Neue, sie enden in Bosheit, Gewalt, Krieg.
Vierzig Jahre Ruhe im Land, ein Traum für viele Länder auf dieser Erde.
Über siebzig Jahre Ruhe in unserem Land nach der ganzen Morderei.
Und ein Kopfschuss aus unmittelbarer Nähe in den Kopf des Regierungspräsidenten von Kassel.
Es gibt einen Täter. Es gibt Mitwisser. Und die Bosheit der vielen im Netz.
Sag nicht so schnell „in den Tagen Jaels“.
Sag „in unseren Tagen“.
Sag
Du.
Sollst.
Nicht.
Töten.
Und frag:
„Was will Gott im sechsten Gebot?
Ich soll meinen Nächsten
weder mit Gedanken
noch mit Worten oder Gebärden,
erst recht nicht mit der Tat
auch nicht mit Hilfe anderer,
schmähen, hassen, beleidigen oder töten.
Darum hat auch der Staat die Aufgabe, durch seine Rechtsordnung das Töten zu verhindern.“
(Heidelberger Katechismus)

Amen


Kathrin Oxen