In der Bibel haben die Protestanten entdeckt, dass man bei Gott immer etwas gut hat; so ist er eben: gnädig. Gott gibt gern, ohne etwas dafür zu verlangen. Das sagt auch die Jahreslosung: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“ (Offbg 21,6). Deshalb haben die Protestanten mit dem Fasten aufgehört.
Mittlerweile haben sie aber wieder damit angefangen. Vermutlich, um in der Ökumene ein Zeichen guten Willens zu setzen. Man muss ja nicht fasten, um Gott zu bestechen, man kann es auch machen, um seiner Gesundheit, seiner Seele, seiner Umwelt oder seinem Mitmenschen was Gutes zu tun.
Früher war alles einfacher. Früher verzichteten in der Passionszeit die Katholiken auf Fleisch und die Protestanten verzichteten aufs Fasten. Heute ist das – wie fast alles - komplizierter. Heute essen die Katholiken in der Passionszeit Fleisch und die Protestanten überlegen sich jedes Jahr neu, auf was sie in diesem Jahr verzichten. Also hat man ein paar kreative Protestanten in ein Büro gesteckt und beauftragt, für jedes Jahr einen neuen Verzicht auszudenken. Es muss nicht unbedingt sinnvoll sein. Hauptsache, es ist originell und aktuell. Jedes Jahr sieben Wochen Vegetarier sein, ist wenig originell, zumal viele das ganze Jahr Vegetarier sind oder neuerdings sogar Veganer. Wie will man einem eingefleischten Veganer sieben Wochen vegetarisch schmackhaft machen? Aber sieben Wochen ohne Kneifen, sieben Wochen Gesicht zeigen, sieben Wochen Zivilcourage - das ist originell und aktuell! 500 Jahre nach der Reformation und 50 Jahre nach den 68ern zeigen wir sieben Wochen die weltverändernde Kraft protestantischer Askese.
Ich hielt es erst für einen Druckfehler und dachte: Das ist mal was Sinnvolles: Sieben Wochen ohne Kneipen, sieben Wochen zu Hause und nüchtern bleiben! Die Fastenaktion wird wieder klassisch. Aber es ist kein Druckfehler. Sie meinen wirklich sieben Wochen ohne Kneifen. Die Begleittexte bestätigen es: Es geht um Zivilcourage, Gesicht zeigen, seine Stimme erheben und all so was. Wir sollen also sieben Wochen mutig sein und nicht kneifen!
Fasten hatte früher übrigens auch den Sinn, die Freude auf die großen Feste zu steigern. Man freute sich auch auf Ostern und auf Weihnachten, weil man dann endlich wieder üppig essen konnte. So freuen wir uns also dieses Jahr auf Ostern, weil wir dann endlich wieder ordentlich kneifen können.
Für nächstes Jahr hätte ich einen Vorschlag: Sieben Wochen ohne die Fastenaktion der Evangelischen Kirche!