Eine Erfahrung und ein Vorschlag zum Psalmensingen In eine glückliche Verlegenheit brachte mich der erste Gottesdienst, den ich als Urlaubsseelsorger im Cevennen-Städtchen St. Jean-du-Gard zu gestalten hatte. Dass die Organistin nicht bestellt worden war, tat den Liedern noch keinen Abbruch; sie sollten ohnehin mit der Gitarre begleitet werden. Was aber war mit Vor- und Nachspiel? In der Not griff ich zur Gitarre und summte meinen Lieblingspsalm, den Psalm 25, zu einer schlichten Harmonisierung in Anlehnung an den vierstimmigen Satz im Gesangbuch der Eglise Reformée de France, dem „Arc en Ciel“. Maulen meine beiden südniedersächsischen Gemeinden regelmäßig, wenn ich einen Genfer Psalm singen lasse, gingen meinen urlaubenden Gottesdienstbesuchern und einigen französischen Gastgebern die Herzen auf.
Den Psalm wünschten sie sich auch als Nachspiel und ließen es sich dann nicht nehmen mitzusingen. Für die französischen Reformierten gehören die Genfer Psalmen zur konfessionellen Identität, im Gottesdienst werden sie stehend und mit Hingabe gesungen. Was war hier passiert? Zurück auf dem Campingplatz spielte und sang ich mich in gleicher Manier durch den Psalter; abends sprach mich dann ein Zeltnachbar an; das seien ja „chansons très jolies“, ganz hübsche Lieder, die ich da gesungen habe, Heimatlieder oder Liebeslieder gar?
Zur Gitarre gesungen werden die Psalmen unter der Hand chansonesk, verlieren jede Gravität – ja doch, Calvin: avec ponds et maiesté! –, gewinnen an Innigkeit, werden deklamatorisch, im schlichten Wechsel von Viertel- und Halbnoten bewegtatmend, das freie, nicht schreitende Tempo orientiert sich wie von selbst am Gebet. Der Gesang ist nicht von der großen, klangmächtigen „Königin der Instrumente“ dominiert; die Psalmen sind nun einmal keine deutschen Choräle, auch wenn Organisten und Gemeindeglieder da kein Einsehen haben. So verwandelt sich mancher trotzige Gesang – wie etwa der in Ostfriesland so geliebte Psalm 68 – in einen Reigen, um es mit Ps 30,12 zu sagen. Zudem ist diese Performance eine Reminiszenz an die frühe Geschichte des Genfer Psalters: Die Psalmen wurden im 16. Jahrhundert nicht nur von der versammelten Gemeinden im Gottesdienst gesungen, sondern auch bei der häuslichen Andacht – und dort gewiss auch zur Laute.
Darum mein Vorschlag: Singen Sie im Gottesdienst (und abends zu Hause!) einmal einen Psalm zur Gitarre! Der Musiker kann dabei, wie vormals der Kantor beim unbegleiteten Psalmengesang, die erste Zeile allein singen, um die Gemeinde in Melodie und Singegestus einzuführen. Die Gitarre sollte gezupft werden. Was die Harmonien anlangt, kann man sich nach den im Gesangbuch beigegebenen Sätzen von Claude Goudimel, Loys Bourgeois und Johann Crüger richten. Eine gute Orientierung bieten auch Pieter Molenaars Psalmbegleitungen, die auf der Orgelbank jeder reformierten Gemeinde liegen sollte. Schön ist es meistens, bei Primen in die Moll-Parallele zu wechseln. Die Pausen können freier gestaltet werden, sie sind oft nicht gleich, so beispielsweise bei Psalm 25, wo jeweils zwei Zeilen zusammen gehören und also nach der ersten (und dritten) Zeile nur eine Atempause gemacht werden kann, während man sich nach der zweiten (und vierten) Zeile eine ganztaktige Pause gönnen darf (aber den [leisen!] Zeilenschlusston nicht in die Pause hineinsingen!).
Ein Trugschluss wie in der vorletzten Zeile von Psalm 25 kann mit einer Fermate versehen werden. Jede Zeile als Bogen nehmen, auf das Zeilenende zu singen! Das Tempo ist frei, atmend, betend, ruhig. Ruhiges Tempo darf nicht verwechselt werden mit dem niederländisch-orthodoxen Zersingen der Psalmen, die Gottes Majestät in gesungenem Sirup meint loben zu sollen (zur Ehrenrettung unserer Glaubensgenossen sei aber ergänzt, was mir eine niederländische Dame erzählte, dass nämlich in ihrer Jugendgruppe in den 1950er Jahren Psalmen wie Erweckungslieder zur Klampfe gesun- gen wurden. Wer´s mag …).
Und um noch eines daraufzusetzen: Oft eignet sich der Tenor der alten Sätze als einfache Oberstimme; dafür ist eine ohnehin um eine Oktave höher stehende Blockflöte sehr schön. Achtung: Wenn von der alten Harmonisierung abgewichen wird, muss die Oberstimme gegebenenfalls ein wenig angeglichen werden.
Übrigens singen wir in meinen Gemeinden jetzt gelegentlich Psalmen zur Gitarre; höre ich recht, hat sich der Gesang verändert: wärmer ist er geworden und mutiger, textintensiver. Auch habe ich endlich den Mut gefunden, im Konfirmandenunterricht die jungen Leute mit den alten Genfer „chansons très jolies“ zu beglücken. Zwei Beispiele (mit wenigen Änderungen nach Goudimel):
Psalm 25
//: GDCGeDGC
GeaG[e]DG://
GDGCaG
GCDCGDG
GeCaGDe
GCGDeDG
Psalm 42
(vgl. auch den schönen Satz von Jo- hann Crüger im Gesangbuch)
//:GDGDeDCG
GDGCGDG://
GeDCGDG
GCGaGD
GDaeDGC
GCGDeDG